Verstehen bekommt immer nur den Trostpreis
„Verstehen bekommt immer nur den Trostpreis!“ (Dieter Lange)
Heutzutage ist es so einfach wie nie, an Informationen und „Wissen“ zu kommen. Es gibt in jedem Bereich unzählige Kurse, Online-Kurse, Anleitungen, Bücher. Alles ist verfügbar. Ein Mangel an „Wissen“ (Informationen) besteht eigentlich nicht. Jeder kann sich Wissen aneignen. Und dennoch gibt es vieles, was in uns Fragezeichen verursacht. Vor allem beim Thema Hundeerziehung!
Es gibt unzählige, massenweise Bücher über die „Richtige“ und über allem stehende Wundermethode. „Die perfekte Leinenführigkeit“, „So (und natürlich nicht anders) gelingt die Hundeerziehung“, „Die perfekte Welpen-Vorbereitung“, „Das Rückruftraining“, „Entspannt unterwegs“ usw usw usw…. Sogar Kurse für Leinenaggression gibt es. Wobei das ein sehr spezielles und individuelles Thema ist. Aber, hey, heutzutage muss es ja schnell gehen und da passt so ein Kurs wunderbar herein.
Alle Kurse sind voller Weisheiten und Ratschläge, dass es EIGENTLICH keinerlei Schwierigkeiten und Probleme in der Hundeerziehung mehr geben dürfte. Und dennoch sieht die Realität oft anders aus. Eine große Lücke zwischen dem Wissen und der Erfahrung!
Da stellt sich die Frage: Haben wir so viele durchgeknallte Hunde, weil wir so viele Hundeschulen haben, die Hund und Herrn überfordern, oder haben wir so viele Hundeschulen, weil wir so viele durchgeknallte Hunde haben?
Es wird stumpf nach Anleitung trainiert und erzogen. Man muss die Menschen wieder ein bisschen mehr zur Normalität zurückbringen.
Wir haben den Anspruch, alles verstehen zu müssen. Warum gähnt er jetzt? Was bedeutet die Ohrenstellung? Warum knurrt er jetzt? Warum leckt er jetzt? Wir hoffen, je mehr wir „verstehen“, umso weniger Probleme haben wir.
Doch das Leben ist eben kein theoretisches Projekt, sondern ein praktisches Abenteuer! Nur wenn wir wirklich miterleben, wie Hunde sich Verhalten, und wir sie einfach mal in völliger Stille beobachten, entstehen Gefühle und eine scharfe Intuition für unterschiedliche Situationen. Erst dann, wirklich erst dann, VERSTEHEN wir! Wenn wir die praktische Erfahrung von Hundeverhalten machen, entstehen Gefühle von Aufregung, Glück, Freiheit, Größe, Demut oder andere. Das völlige Eintauchen in das Erlebnis macht die Erfahrung unvergesslich.
Lass dich doch mal ein auf den Moment. Wir versuchen immer anhand von irgendwelchen lerntheoretischen Modellen alles zu analysieren. Du kannst den Moment nicht wahrnehmen, wenn du damit beschäftigt bist, dich mit Theorien auseinanderzusetzen. Die Aufmerksamkeit geht vom Augenblick weg.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Bücher und Wissensaneignung. Das ist enorm wichtig. Auch ich lese täglich bis zu 2 Stunden. Aber nur die praktischen Erfahrungen erlauben es mir, wirklich mitreden zu können. Stumpfes auswendig lernen und so tun, als „wüsste“ ich alles, das ist nicht mein Ding. Es ist nicht dasselbe, ob wir Gefühle erleben und uns in Situationen ganz und gar hingeben oder ob wir aus sicherer Distanz darüber diskutieren und Gründe für Verhaltensweisen besprechen. Genau deswegen bekommt Verstehen immer nur den Trostpreis!
Echte Erfahrungen können nur in der Praxis gemacht werden. Wenn wir tief in einem Moment sind und Lebendigkeit verspüren, denken wir nicht an irgendein theoretische Modell oder Konstrukt. Verstehen und lerntheoretische Modelle spielen keine Rolle. In den intensivsten Momenten denkst du nicht nach. Du handelst. Intuitiv!
Es geht im Leben nicht darum, auf Teufel komm raus alles zu verstehen. Besserwisser, ja, die „wissen“ scheinbar alles besser. Und das sind genau die Personen, die stumpf tagtäglich neueste Studien und Bücher in sich hinein-hämmern. Aber nie wirklich dabei gewesen sind. Ach, ich liebe sie, die allwissenden Theoretiker. Oft selbst nirgendwo dabei gewesen, aber trotzdem genau wissen, wie Hundeerziehung funktioniert. Sie haben ja theoretisches Wissen.
„Wir verhalten uns so, als ginge es darum, das Leben zu verstehen. Dabei kommt es darauf an, Erfahrungen zu machen und das Leben zu leben.“